Ich kenne ESP Ltd aus der Vergangenheit als Referenz in Sachen Bespielbarkeit für die jeweilige Preisklasse. Diese mit 2.259 EUR angebotene Gitarre dagegen ist offensichtlich ein Montagsmodell mit einer Bespielbarkeit, die ich bei einer halb so teuren Gitarre gerade so okay gefunden hätte.
Es hätte Liebe werden können! Die Gitarre kommt mit einem passenden Koffer in ESP-Qualität. Öffnet man diesen (und packt die Gitarre aus) dann beeindruckt das gute Stück: die Gitarre ist eine Schönheit, die goldene Hardware steht ihr. Selbst ein wenig Gitarren affiner Freund von mir meinte: "Die sieht gut aus!"
Auch bei näherem Hinsehen, habe ich keine Fehler/Schlampereien entdeckt. Hätte mich von ESP Ltd auch enttäuscht.
Wie jede andere Phönix-Gitarre (ESP)/Firebird(Gibson/Epiphone)/Mockingbird(B.C. Rich) braucht diese Gitarre einen breiten, rauhen Gurt, an dem sie ordentlich zieht. Das ist bei dieser Gitarrenform so und sollte deshalb der Gitarre nicht als Schwäche angelastet werden.
Dann kam das Wichtigste: wie klingt sie und wie läßt sie sich spielen?
Wie sie klingt? Ein fetter Humbucker in der Bridge-Position und ein Tele-Hals-Pickup ist eine ungewöhnliche Kombination. Ich habe die Gitarre an verschiedenen Verstärkern getestet (Fender Super Twin, Fender Hot Rod Deville, Harley Benton Tube 15). Jeder Verstärker drückt dem Klang natürlich seinen Stempel auf, aber auf der anderen Seite blieb bei jedem Verstärker die Klangcharackteristik der Gitarre erhalten.
Der Tele-Hals-Tonabnehmer klingt nach einem fetten Single-Coil, so ein wenig Tele hört man da trotz der verschiedenen Holzwahl und Holzkonstruktion schon raus.
Der Stegtonabnehmer legt noch ein ordentliches Pfund drauf, er klingt dunkel, aber nicht verhangen, und pocht auf Overdrive und Distortion-Sounds. Dass er eine ganz andere Ausgangssignalstärke hat, merkt man daran, dass bei harten Anschlägen plötzlich der Verstärker beginnt zu zerren, während man mit dem Halstonabnehmer ganz klar im unverzerrten Bereich blieb.
Zum Glück kann man durch das Push-Pull-Poti den Stegtonabnehmer splitten (da hat sich jemand etwas dabei gedacht), dann klingt er drahtig und nach Single-Coil (aber nicht nach Stratocaster!).
Demenstprechend gibt es zwei Mittelpositionen: eine mit Steg-Humbucker und eine mit Steg-Singlecoil. Dabei wurde die Mittelposition mit dem gesplitteten Stegtonabnehmer mein Favorit. Das klang angenehm drahtig und klar artikuliert.
Mit dem Stegtonabnehmer als Humbucker ist die Mittenposition fett und dunkel. Durchaus zu gebrauchen, aber ich habe da ein wenig die Brillianz vermisst.
Insgesamt finde ich die Tonabnehmer-Kombination sehr interessant, mit einer Menge interessanter Klänge. Aber ich weiß nicht, mit welcher Musik ich diese Gitarre in einer Live-Situation in Verbindung bringen soll. Diese Gitarre ist definitiv Genre-übergreifend. Egal in welchem Genre, man kann so eine Gitarre nicht voll ausnutzen, ohne die Grenzen zu sprengen (was ja durchaus interessant sein kann). Mit dem Push-Pull-Poti (Lautstärke) hat man 5 sehr unterschiedliche Klänge unter den Händen. Es wird schwer werden einen Verstärker zu finden, der all diese Klänge optimal in Szene setzt.
So, all diese Punkte haben mich begeistert, was mich gar nicht begeistert hat, ist die Bespielbarkeit dieser Gitarre. Die Saitenlage ist ESP Ltd typisch gut bis sehr gut. Die Bespielbarkeit jedoch ist - zumindest auf diesem speziellen Exemplar- für ESP Ltd-Verhältnisse einfach schlecht.
Am ersten Tag hat die Gitarre an diversen Positionen geschnarrt (das kenne ich sonst nur von anderen Marken). Am zweiten Tag hatte sie sich wohl an die Zimmertemperatur angepasst und das Schnarren war weniger dramatisch geworden. Aber auch am dritten Tag war das Schnarren nicht weg.
Eine schnarrende ESP Ltd Gitarre jenseits der 1000 EUR Grenze habe ich noch nie erlebt!
Also um das richtig einordnen zu können: bei leichtem Anschlag ist alles okay; aber wenn ich etwas beherzter zugegriffen habe (was ich auf anderen Gitarren mit dieser Saitenlage durchaus kann), dann hat es an mehreren Positionen vernehmbar geschnarrt.
Ich habe bereits 2 ESP Ltd Phoenix - Gitarren, eine mit Fishman-Tonabnehmern, eine mit Seymour Duncan Phat Cat / SH4. Auf denen kann ich herumtoben so viel ich will, da schnarrt nichts.
Also selbst unter Berücksichtigung von goldener Hardware und Qualitätskoffer ist diese Gitarre mit 2.259 EUR meiner Meinung nach deutlich überpreist. Ich weiß nicht, ob da irgendjemand den Markt austesten will.
Die ESP Ltd Phoenix Vintage White liegt noch bei 1.289 EUR (ohne Koffer) und zumindest mein Exemplar läßt sich dutlich besser bespielen!
Und ob goldene Hardware und ein Koffer wirklich knapp 1000 EUR wert sind, das darf doch bezweifelt werden.
Also mit der gewohnten ESP Ltd-Bespielbarkeit, goldener Hardware und Koffer finde ich einen Preis von 1.600 - 1.800 EUR gerechtfertigt.
Vielleicht (hoffentlich) habe ich einfach Pech gehabt, aber mit dieser Bespielbarkeit macht die Gitarre, unabhängig vom Preis, keinen Spaß.
Und wenn ich dann auch noch das Preisschild sehe, kann ich nur noch den Kopf schütteln.
In Indonesien kann man hochwertige Gitarren bauen und ESP Ltd ist für mich ein Synonym für erstklassige Gitarren in der jeweiligen Preisklasse. Insofern traue ich es ESP Ltd durchaus zu in Indonesien Gitarren zu fertigen, die sich an das (traumhafte!) ESP-Niveau heranschieben. Dann wäre so ein Preis gerechtfertigt gewesen.
Aber bei meinem Exemplar?!! Auf keinen Fall!
Und jetzt hole ich meine ESP Ltd Phoenix heraus, um mich zu beruhigen...